Der Hase und der Igel

von Brüder Grimm

~6 Min

Diese Geschichte hört sich ziem­lich lügen­haft an, Jun­gens, aber wahr ist sie doch, denn mein Gross­vater, von dem ich sie habe, pflegte immer, wenn er sie behaglich erzählte, dabei zu sagen: Wahr muss sie doch sein, mein Sohn, anders kön­nte man sie auch gar nicht erzählen.“ Und die Geschichte hat sich so zugetragen:

Es war an einem Son­ntag­mor­gen zur Herb­stzeit, ger­ade als der Buch­weizen blühte: die Sonne war hell am Him­mel aufge­gan­gen, der Mor­gen­wind ging warm über die Stop­peln, die Lerchen san­gen in der Luft, die Bienen summten im Buch­weizen, die Leute gin­gen in ihrem Son­ntagsstaat nach der Kirche, und alle Krea­tur war vergnügt, und der Swi­negel auch.

Der Swi­negel aber stand vor sein­er Tür, hat­te die Arme übere­inan­der geschla­gen, guck­te dabei in den Mor­gen­wind hin­aus und summte ein kleines Lied­chen vor sich hin, so gut und so schlecht, wie nun eben am lieben Son­ntag­mor­gen ein Swi­negel zu sin­gen pflegt. Indem er nun so vor sich hin­sang, fiel ihm auf ein­mal ein, er kön­nte doch, während seine Frau die Kinder wüsche und anzöge, ein biss­chen ins Feld spazieren und nach seinen Steck­rüben sehen. Die Steck­rüben waren aber dicht bei seinem Haus, und er pflegte mit sein­er Fam­i­lie davon zu essen, darum sah er sie als die seini­gen an. Gesagt, getan. Der Swi­negel machte die Haustür hin­ter sich zu und schlug den Weg nach dem Felde ein. Er war noch nicht weit vom Hause weg und wollte just um den Schle­hen­busch, der dort vor dem Felde ste­ht, nach dem Steck­rübe­nack­er abbiegen, als ihm der Hase begeg­nete, der in ähn­lichen Geschäften aus­ge­gan­gen war, näm­lich, um seinen Kohl zu bese­hen. Als der Swi­negel den Hasen sah, bot er ihm einen fre­undlichen guten Mor­gen. Der Hase aber, der auf seine Weise ein vornehmer Herr war, und grausam und hochfahrend dabei, antwortete nicht auf des Swi­negels Gruss, son­dern sagte zum Swi­negel, wobei er eine gewaltig höh­nis­che Miene auf­set­zte: Wie kommt es denn, dass du schon so früh am Mor­gen im Felde herum­läuf­st?“ – Ich geh spazieren,“ sagte der Swi­negel. Spazieren?“ lachte der Hase, mich deucht, du kön­ntest die Beine auch wohl zu besseren Din­gen gebrauchen.“ Diese Antwort ver­dross den Swi­negel unge­heuer, denn alles kon­nte er ertra­gen, aber auf seine Beine liess er nichts kom­men, eben weil sie von Natur aus schief waren. Du bildest dir wohl ein,“ sagte nun der Swi­negel zum Hasen, dass du mit deinen Beinen mehr aus­richt­en kannst?“ – Das denke ich,“ sagte der Hase. Das käme auf einen Ver­such an,“ meinte der Swi­negel, ich wette, dass wenn wir einen Wet­t­lauf machen, ich an dir vor­beilaufe.“ – Das ist zum Lachen, du mit deinen schiefen Beinen,“ sagte der Hase, aber meinetwe­gen mag es sein, wenn du so grosse Lust darauf hast. Was gilt die Wette?“ – Einen gold­e­nen Louis­dor und eine Bud­del Bran­ntwein,“ sagte der Swi­negel. Angenom­men,“ sprach der Hase, schlag ein, und dann kann es gle­ich los­ge­hen.“ – Nein, so grosse Eile hat es nicht,“ meinte der Swi­negel, ich bin noch ganz nüchtern; erst will ich nach Hause gehen und ein biss­chen früh­stück­en. In ein­er hal­ben Stunde bin ich wieder hier auf dem Platz.“

Damit ging der Swi­negel, denn der Hase war es zufrieden. Unter­wegs dachte der Swi­negel bei sich: Der Hase ver­lässt sich auf seine lan­gen Beine, aber ich will ihn schon kriegen. Er ist zwar ein vornehmer Herr, aber doch nur ein dum­mer Kerl, und bezahlen soll er doch. Als nun der Swi­negel zu Hause ankam, sprach er zu sein­er Frau: Frau, zieh dich schnell an, du musst mit mir aufs Feld hin­aus.“ – Was gibt es denn?“ sagte seine Frau. Ich habe mit dem Hasen gewet­tet um einen gold­e­nen Louis­dor und eine Bud­del Bran­ntwein; ich will mit ihm um die Wette laufen, und du sollst mit dabei sein.“ – O mein Gott, Mann,“ fing nun dem Swi­negel seine Frau an zu jam­mern, bist du nicht recht gescheit? Hast du denn ganz den Ver­stand ver­loren? Wie kannst du mit dem Hasen um die Wette laufen wollen?“ -„Halt’s Maul, Weib,“ sagte der Swi­negel, das ist meine Sache. Misch dich nicht in Män­nergeschäfte! Marsch, zieh dich an und komm mit!“ Was sollte Swi­negels Frau machen? Sie musste wohl fol­gen, sie mochte nun wollen oder nicht.

Wie sie nun miteinan­der unter­wegs waren, sprach der Swi­negel zu sein­er Frau: Nun pass auf, was ich dir sagen will. Siehst du, auf dem lan­gen Ack­er dort wollen wir unseren Wet­t­lauf machen. Der Hase läuft näm­lich in der einen Furche und ich in der andern, und von oben fan­gen wir an zu laufen. Nun hast du weit­er nichts zu tun, als dich hier unten in die Furche zu stellen, und wenn der Hase auf der andern Seite ankommt, so ruf­st du ihm ent­ge­gen: Ich bin schon hier‘.“

Damit waren sie beim Ack­er ange­langt. Der Swi­negel wies sein­er Frau den Platz an und ging nun den Ack­er hin­auf. Als er oben ankam, war der Hase schon da. Kann es los­ge­hen?“ sagte der Hase. Jawohl,“ sagte der Swi­negel. Dann also los!“ Und damit stellte sich jed­er in seine Furche. Der Hase zählte: Eins, zwei, drei!“ und los ging es wie ein Sturmwind den Ack­er hin­unter. Der Swi­negel aber lief nur unge­fähr drei Schritte, dann duck­te er sich in die Furche und blieb ruhig sitzen.

Als nun der Hase in vollem Lauf unten am Ack­er ankam, rief ihm dem Swi­negel seine Frau ent­ge­gen: Ich bin schon hier!“ Der Hase stutzte und ver­wun­derte sich nicht wenig: er meinte nicht anders, als wäre es der Swi­negel selb­st, der ihm zurief, denn bekan­ntlich sieht dem Swi­negel seine Frau just so aus wie ihr Mann. Der Hase aber meinte: Das geht nicht mit recht­en Din­gen zu.“ Er rief: Nochmal gelaufen, wieder rum!“ Und fort ging er wieder wie ein Sturmwind, dass ihm die Ohren um den Kopf flo­gen. Dem Swi­negel seine Frau aber blieb ruhig auf ihrem Platz ste­hen. Als nun der Hase oben ankam, rief ihm der Swi­negel ent­ge­gen: Ich bin schon hier!“ Der Hase aber, ganz auss­er sich vor Ärg­er, schrie: Noch ein­mal gelaufen, wieder rum!“ – Mir macht das nichts,“ antwortete der Swi­negel, meinetwe­gen, sooft du Lust hast.“ So lief der Hase noch dreiund­siebzig­mal, und der Swi­negel hielt es immer mit ihm aus. Jedes­mal, wenn der Hase unten oder oben ankam, sagte der Swi­negel oder seine Frau: Ich bin schon hier.“

Beim vierund­siebzig­sten Male aber kam der Hase nicht mehr bis ans Ende. Mit­ten auf dem Ack­er stürzte er zur Erde, das Blut schoss ihm aus dem Halse, und er blieb tot auf dem Platze. Der Swi­negel aber nahm seinen gewonnenen Louis­dor und die Bud­del Bran­ntwein, rief seine Frau aus der Furche ab, und bei­de gin­gen vergnügt miteinan­der nach Hause: und wenn sie nicht gestor­ben sind, leben sie heute noch.

So begab es sich, dass auf der Bux­te­hud­er Hei­de der Swi­negel den Hasen totlief, und seit jen­er Zeit hat es sich kein Hase wieder ein­fall­en lassen, mit dem Bux­te­hud­er Swi­negel um die Wette zu laufen.

Die Lehre aber aus dieser Geschichte ist erstens, dass kein­er, und wenn er sich auch noch so vornehm dünkt, sich über einen gerin­gen Mann lustig mache, und wenn es auch nur ein Swi­negel wäre. Und zweit­ens, dass es ger­at­en ist, wenn ein­er fre­it, dass er sich eine Frau aus seinem Stande nimmt, die ger­adeso aussieht wie er sel­ber. Wer also ein Swi­negel ist, der muss zuse­hen, dass seine Frau auch ein Swi­negel ist, und so weiter.